Lehrer*innen-Burnout: Zwischen Selbstfürsorge und Systemkritik – 4 Gedanken, die bewegen

Wiebke Heiber über Lehrer-burnout, Selbstfürsorge, Systemkritik und Reaktionen auf einen Tagesspiegelbeitrag
Leher-Burnout: Zwischen Selbstfürsorge und Systemkritik
Wiebke Heiber über Lehrer-burnout, Selbstfürsorge, Systemkritik und Reaktionen auf einen Tagesspiegelbeitrag

Vor Kurzem erschien im Tagesspiegel ein Artikel mit sieben Impulsen für Lehrer*innen, wie sie mit Überlastung und psychischem Stress umgehen können. Ich wurde darin als Coachin und Heilpraktikerin für Psychotherapie befragt. Der Artikel stieß auch auf kritische Kommentare. Die Kritik trifft einen wunden Punkt – eine Kernfrage, mit der ich mich viel beschäftige. Deshalb möchte ich hier einige der Rückmeldungen aufgreifen und ausführlicher darauf eingehen.

„Das System ist krank – und ihr gebt Tipps?“

Der Artikel greift eine aktuelle Studie der GEW auf, laut der jede*r fünfte Berliner Lehrer*in ein hohes Burnout-Risiko hat. In einem Kommentar hieß es sinngemäß:
 „Das ist doch neoliberale Individualisierung! Nicht der Einzelne muss sich verändern – sondern das System.“

Eine wichtige Perspektive. Und: Ja. Ich teile diesen Gedanken, zumindest in Teilen. Es ist gefährlich, wenn man strukturelle Überforderung einfach individualisiert – nach dem Motto: Du musst dich nur besser organisieren, dann wird’s schon.

 Aber das ist nicht mein Ansatz.

Mein Anliegen ist nicht, Menschen systemkompatibler zu machen. Sondern ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu stärken – um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Und vielleicht auch wieder Kraft zu entwickeln, das System zu verändern.

Denn die Realität ist: Viele Lehrer*innen stehen jetzt gerade mit dem Rücken zur Wand. Sie erleben Überforderung, emotionale Erschöpfung, Wut, Ohnmacht.
Sie brauchen Unterstützung – jetzt. Nicht erst, wenn große Reformen beschlossen sind und irgendwann greifen.
Wenn wir anfangen, uns innerlich zu sortieren, neue Perspektiven zu entwickeln, uns zu vernetzen – dann entstehen häufig Energie und Klarheit, die Veränderung überhaupt erst möglich machen.

Vom Rückzug ins Kümmern: Warum der Name „teacherscare“ mehr bedeutet

Ein anderer Kommentar lautete:
 „Gemeint ist sicher so etwas wie Teachers’ Care, aber ich lese ‘Lehrerschreck’.“

Kann man so lesen 🙂 Denn tatsächlich lässt der Titel teacherscare viele Lesarten zu. Neben „teacher“ schwingen darin auch „care“ – also das Kümmern – und „scare“ – die Angst – mit.

Für mich erzählt der Titel eine Bewegung: von scare zu care.
Von Angst, Rückzug, Überforderung, Ohnmacht – hin zu einem Sich-Kümmern: um sich selbst, um andere, um das größere Ganze.

Dass dieser Titel Interpretationsspielraum lässt, ist natürlich gewollt. Ich arbeite – unter anderem durch meinen gestalttherapeutischen Hintergrund – viel mit inneren Bildern, Assoziationen, mit der Sprache zwischen den Zeilen. Deswegen auch so ein Titel. 🙂

Coaching reicht doch nicht – Schule ist Beziehung!“

Ein weiterer Kommentar lautete sinngemäß:
„Coaching-Tipps greifen zu kurz, wenn es um die emotionale Komplexität und Intensität des Schulalltags geht.“

Als mich die Anfrage vom Tagesspiegel erreicht hat, war meine erste Reaktion tatsächlich: „Wer bin ich, um da Tipps zu geben?“ Diese Zahlen sind erschütternd – und ja, es wirkt fast zynisch, Lehrer*innen unter diesen Bedingungen Ratschläge zu geben: bei Personalmangel, wachsender psychischer Belastung und struktureller Überforderung.

Ich verstehe jede*n, der da erst einmal mit den Augen rollt.

Meine Arbeitsweise besteht ohnehin nicht darin, Tipps zu verteilen – sondern gemeinsam hinzuschauen. Gerade auf das, was im Kommentar angesprochen wird: Beziehung, emotionale Themen wie Wut, Ängste, Überforderung – und das oft große Thema Grenzen. Genau dort entstehen in meiner Erfahrung die bedeutsamsten Prozesse.

Also absolut richtig. Schule ist in erster Linie Beziehung. Und genau dort entsteht häufig der größte Druck: in der Verbindung zu Schüler*innen, Kolleg*innen, zu sich selbst.
Deshalb arbeite ich selten mit Methoden zur Selbstoptimierung – sondern mit dem, was zwischen und in Menschen passiert.
Und ja, das ist intensiv. Es geht um Fragen wie:

Wie kann ich im Kontakt bleiben, ohne mich selbst zu verlieren?
Was passiert, wenn ich wütend werde – und darf diese Wut da sein?
Wie merke ich, dass ich erschöpft bin – und was brauche ich dann?

Und ich denke, auch wenn sich vieles nicht in drei Handlungsschritte pressen lässt, kann es trotzdem auch hilfreich sein, zu teilen, was anderen geholfen hat. Und dabei den Blick nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf die systemische Ebene zu richten.

Zwischen Care und Kritik: Warum Selbstfürsorge politisch ist

Ich unterstütze Initiativen wie #schulemussanders und #bildungswendejetzt. Weil ich davon überzeugt bin, dass sich strukturell und politisch etwas ändern muss. Dringend.
Und gleichzeitig glaube ich:
Auf Veränderungen zu warten ist auch nicht die Lösung.

Die Veränderung des Systems kann viel Zeit brauchen – und die haben viele Lehrer*innen gerade nicht.
Deshalb ist Selbstfürsorge für mich kein Rückzug ins Private. Sie ist Widerstand.
Ein Nein zum Dauerfunktionieren. Ein Ja zur eigenen Grenze. Ein „Ich bin auch Mensch, nicht nur Rolle“. Ich glaube, Selbstfürsorge und Systemkritik schließen sich nicht aus. Sie bedingen einander.
Wer sich stärkt, kann auch andere stärken.
Wer reflektiert, kann klarer handeln.
Wer sich verbunden fühlt, wird politischer.
Wer sich mit anderen einsetzt, wird dadurch Kraft bekommen

Kommentare, die mich bewegen – und meine Antworten

Hier ein paar Rückmeldungen – und was ich dazu sagen möchte:

friedrich66
 „Neoliberale Individualisierung eines systemischen Problems. Änder nicht das System, sondern dich innerhalb des Ausbeutungssystems.“

Wiebke_Heiber_Teacherscare
 Ja, ich teile die Kritik – wenn strukturelle Probleme einfach individualisiert werden, fehlt die Systemkritik. Und trotzdem: Viele Lehrer*innen stehen jetzt erschöpft vor ihrer Klasse und brauchen jetzt Handlungsspielraum. Mein Anliegen ist nicht: Verändere dich, um besser ins System zu passen, sondern: Stärke dich, damit du überhaupt handlungsfähig bleibst – vielleicht sogar für Systemveränderung. Beides gehört zusammen: Selbstfürsorge und Systemkritik.

domdekz (Grundschullehrer & Psychotherapeut):
Sinngemäß: Coaching-Tipps sind oft gut gemeint, greifen aber zu kurz, wenn es um die emotionale Realität des Schulalltags geht.

Wiebke_Heiber_Teacherscare
Genau da schaue ich hin: auf die emotionalen Themen – Überforderung, Wut, Angst, Beziehung. Keine Tipps, sondern Prozessarbeit. Und ja – es braucht strukturelle Veränderung. Aber viele können nicht mehr warten, bis das System sich irgendwann verändert. Was hilft jetzt?

DerDilettant: Die Antworten sind im Prinzip bekannt: Kleinere Klassen, reduzierte Stundenzahl, personelle Unterstützung. Die Politik verschleppt und blockiert mit dem Argument „kein Geld!“ jegliche Reform. 

Wiebke_Heiber_Teacherscare:

Ja. Und genau deshalb braucht es beides: politische Veränderung und persönlichen Handlungsspielraum. 

Fazit: Es braucht beides

Ich sehe die Wut. Die Müdigkeit. Die Ungeduld.
Ich sehe Lehrer*innen, die ausgebrannt sind.
Ich sehe aber auch: wie viel Mut, wie viel Herzblut,  wie viel Veränderungswille da ist. Und ich sehe, was möglich ist!

Ich glaube: Wir brauchen beides.
Wir brauchen Systemkritik – laut, wütend und gemeinsam.
Und wir brauchen Selbstfürsorge – damit wir diesen Weg überhaupt gehen können. Damit wir gute Lösungen finden können. Damit wir in Kontakt bleiben. Damit wir Visionen entwickeln und verfolgen.

Wenn du magst, erzähl mir:
Wo stehst du gerade?
Was hat dich erschöpft? Was trägt dich?
Was hilft dir, nicht zu verstummen?

Vielleicht entsteht daraus das Gespräch, das wir alle gerade brauchen.

  • Über die Autorin

    WER BIN ICH?

    Wieble Heiber schaut lächelnd und wohlwollend an der Kamera vorbei zu einer*m Klient*in, dessen Kopf und Haare von hinten verschwommen zu sehen sind. Schwarz Weiß. 2 Logo Kissen in blau und grün sind auf dem ausgeschnitten Foto zu sehen.

    Wiebke Heiber
    Gründerin Teacherscare

    Ich bin Wiebke Heiber, habe immer wieder als Lehrerin gearbeitet und wollte Schule schon immer verändern. Lange hatte ich das Gefühl, es müsse sich einfach alles ändern. Das fühlte sich so überfordernd an, dass ich lieber gar nichts gemacht habe.


    Und ja, Bildung muss endlich höchste Priotität und damit Ressourcen und Wertschätzung auf politischer Ebene erhalten. Und gleichzeitig empfinde ich es als frustrierend nur auf dieser Ebene anzusetzen und auf Änderungen zu warten, während der Schulbetrieb weiter läuft.

    Deswegen möchte ich Lehrer*innen dahingehend stärken, dass sie für sich und ihre Werte einstehen. Und vorhandene Gestaltungsräume wahrnehmen, nutzen und vergrößern.

    Wiebke Heiber führt ein freundliches Online-Coaching am Computer durch. Online-Coaching für Lehrer*innen aus Bremen, Oldenburg, Berlin, München, Hamburg und Köln.

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