„Lehrer*innen gestresst?! Aber ihr habt doch ständig Ferien!“ Diesen Blick auf deinen Beruf kennst du wahrscheinlich. Und vielleicht war es sogar mal das entscheidende Argument dafür, dich für den Lehrer*innen-Beruf zu entscheiden.
Aber dein Schulalltag sieht irgendwie anders aus?
Du trabst den ganzen Tag von einem Raum zum anderen? Auf den Wegen dazwischen versuchst du schnell einen wütenden Vater zu beschwichtigen, dich mit der Kollegin abzustimmen, einen Anruf zu erledigen und die Technik für den nächsten Unterricht in den Griff zu bekommen? Dann kommst du mit wehenden Haaren und den Resten des Frühstücks im Mund in den Klassenraum gerauscht, um dann – was ist nochmal dein Beruf?! Achja: Unterrichten! Heißt, du versuchst in den Klassenräumen die Situation irgendwie unter Kontrolle zu halten oder das Schlimmste abzuwenden?
Irgendwie schaffst du es meistens so gerade bis zu den Ferien. Aber ohne die wäre das ganze Unterfangen Schule eh undenkbar?!
Wenn du diesen Beitrag aufgesucht hast, kommt dir das wahrscheinlich bekannt vor und die Situation belastet dich.
Und damit bist du nicht alleine:
Mehr als 8 von 10 Lehrer*innen fühlen sich aktuell stark bis sehr stark belastet.
Deswegen möchte ich in diesem Beitrag beleuchten, wie Stress überhaupt entsteht, welche Faktoren besonders bei Lehrer*innen Stress erzeugen und welche Maßnahmen du wann ergreifen solltest.
1. Was ist Stress?
Stress ist evolutionär gesehen eine Reaktion des Körpers, bei der es um Leben und Tod geht. Der Körper aktiviert sich für Kampf oder Flucht. Während es früher vielleicht eher der Bär war, der Stress hervorgerufen hat, kann es heute auch das Selbstwertgefühl sein, welches sich in Gefahr sieht.
Um für Kampf oder Flucht zu aktivieren, verändern sich unter anderem Köperaktivitäten wie Atemfrequenz, Muskelspannung, Puls und Verdauung.
Führt man sich diese Symptome vor Augen, kann man sich vielleicht leicht vorstellen, dass sie sowohl positiv als auch negativ wahrgenommen werden können.
Und tatsächlich wird allgemein zwischen positivem und negativem Stress unterschieden:
1. Eustress – positiver Stress
Positiver Stress kann gut und wichtig sein, um uns zu motivieren und über uns hinauszuwachsen. Stress wird dann positiv wahrgenommen, wenn wir davon ausgehen, dass wir die Aufgabe bewältigen können.
Positiver Stress ruft vor allem Freude, positive Erregung und Tatendrang hervor.
2. Distress – der negative Stress
Problematisch wird Stress, wenn wir Sachen nicht bewältigen können, weil uns entweder die Kompetenzen fehlen oder es nicht in unserer Macht liegt.
Wenn die Erholungsphasen fehlen und sich dadurch ein Zustand des Dauerstresses entwickelt, führt zu viel Dopamin in unserem System langfristig zu Erschöpfung. Es kommt zu psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen, wie Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Gereiztheit.
Zudem sind beispielweise Denk- und Merkfähigkeit, Kreativität und Urteilsvermögen eingeschränkt. Auch die Beziehungsfähigkeit lässt nach.
Typische Folgen sind Erschöpfungssyndrom (Burnout), Depression und Angst- und Panikattacken.
Das Fatale ist, dass sich positiver Stress auch leicht in negativen Stress umwandeln kann und davon kannst du als Lehrer*in wahrscheinlich ein Lied singen.
Denn: Die meisten Lehrer*innen machen den Beruf aus Überzeugung und Leidenschaft. Sie empfinden ihre Tätigkeit als sinnvoll, möchten für Schüler*innen da sein und sie unterstützen. Dabei vernachlässigen sie leicht sich selbst. Arbeiten die Pausen durch, vergessen die regelmäßigen Mahlzeiten und gehen über ihre eigenen Grenzen.
Und damit sind wir bei der nächsten Frage:
2. Warum sind ausgerechnet Lehrer*innen gestresst?
Lehrer*innen haben im Schulalltag extrem viele unterschiedliche Baustellen, an und auf denen sie arbeiten müssen. Die Beziehungen zu Schüler*innen, Kolleg*innen, Eltern, Unterrichtplanung, Klassenführung usw.
Damit einher gehen häufig noch verschiedene Arbeitsplätze, da sie zwischen Klassenräumen hin und her wechseln und sie Vor- und Nachbereitung zu Hause machen müssen. Der allgemeine Personalmangel plus 3 Jahre Corona und folgende Krankheitswellen haben Lehrer*innen zusätzlich stark belastet.
Und das Bild täuscht nicht. Studien zeigen tatsächlich, dass Lehrer*innen gegenüber anderen Berufsgruppen besonders unter beruflicher Beanspruchung leiden. (Vgl. FiBS-Studie, S. 3)
„Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte leidet (sehr) häufig unter körperlicher Erschöpfung und Müdigkeit. Knapp jede zweite Lehrkraft ist außerdem von innerer Unruhe und Nackenschmerzen betroffen, ein Drittel leidet unter Schlafstörungen.“ (Deutsches Schulportal 2022, S.11–15)
Diese Zahlen sind in den vergangenen Jahren mit Corona und den Folgen gestiegen.
Einen der größten Stressfaktoren sehen Lehrer*innen in der Zunahme von auffälligem Sozialverhalten der Schüler*innen. Und das bei wachsendem Umfang der Aufgaben. (Vgl. FiBS-Studie, S. 8)
Die schwierigen Beziehungen zu Schüler*innen machen Lehrer*innen also immer mehr zu schaffen. Und erwiesenermaßen liegt in der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung einer der größten Stressfaktoren, sie stellt aber auch die größte Ressource bereit.
Hier liegt die Krux: Wenn wir negativ gestresst sind gehen uns viele Fähigkeiten verloren, die wir als Lehrer*innen dringend benötigen: Beziehungsfähigkeit, Denk- und Urteilsvermögen, Geduld, Kreativität und Spontanität. Wenn wir keinen Zugriff auf diese Fähigkeiten haben, wird unser Stress wahrscheinlich weiter ansteigen und wir befinden uns in einem Teufelskreis.
Was also kannst du tun, um Stress besser regulieren zu können?
3. Wie du durch Resilienztraining Stress abbauen oder vorbeugen kannst
Resilienz ist sozusagen der Gegenspieler zu Stress. Resilienz „beschreibt die Fähigkeit des Menschen, sich emotionalen und mentalen Belastungen zu stellen und diese zu überwinden ohne, dass durch diesen Stress anhaltende und dauerhafte psychische Störungen entstehen.“ (William Kaiser: Resilienz erlernen, S. 4)
Mit genügend Resilienz lässt du dich nicht in einen Strudel von Stress ziehen, bis er schädliche Folgen hat. Sondern du weißt einzuordnen, ob du die stressauslösende Aufgabe bewältigen kannst und was du gegebenenfalls dafür brauchst. Zudem kannst du die richtigen Konsequenzen ziehen, wenn die Aufgabe nicht lösbar für dich erscheint.
Um das zu verdeutlichen wird oft ein Gummiball als Vergleich herangezogen, den man zusammendrücken kann, der aber immer wieder seine ursprüngliche Form annimmt.
Probleme sind also erstmal nichts schlimmes, sich ihnen zu stellen ist sogar wichtig, um die eigene Resilienz zu steigern. Dabei sind sogar die Probleme, die du „mit harter Arbeit, mit Mühe oder auch Erfindungsreichtum überwinden“ (Kaiser, S. 12) kannst, diejenigen, die deine Resilienz am stärksten beeinflussen.
Vielleicht kannst du Probleme also wie eine sportliche Herausforderung betrachten, die deine Ausdauer und Muskeln wachsen lässt.
Und wie im Sport kannst du Resilienz trainieren. Wenn du direkt damit beginnen möchtest, schaue dir meinen Artikel „4 Grundlagen für Lehrer*innen gegen Stress“ an.
4. Ab wann solltest du dir Unterstützung holen?
Es ist gut möglich, dass du selbst nicht die Energie für ein Resilienz-Training aufbringen kannst.
Wenn du dich in den folgenden Symptomen (ICD-10) über einen Zeitraum von mehreren Wochen wiederfindest, solltest du wirklich Unterstützung in Anspruch nehmen:
Mögliche Anzeichen eines Erschöpfungssyndroms:
- Gesteigerte Ermüdbarkeit
- Körperliche Schwäche und Erschöpfung
- Abnehmendes Leistungsvermögen
- Geringe Fähigkeit sich zu entspannen
- Reizbarkeit
- Freudlosigkeit
Mögliche Anzeichen einer Depression:
- Depressive Stimmung
- Verlust von Interesse und Freude
- Antriebsmangel mit erhöhter Ermüdbarkeit
- Schlafstörungen
- Verminderte Konzentrationsfähigkeit
- Perspektivlosigkeit
Mögliche Anzeichen von Angst- und Panikattacken:
- Plötzlicher Beginn von Herzklopfen
- Brustschmerzen
- Erstickungsgefühle
- Schwindel
- Entfremdungsgefühle
Auch andere Krankheiten stehen in Zusammenhang mit Stress, wie Tinnitus, Herz-Kreislauferkrankungen und Hautkrankheiten.
In allen Fällen solltest du dir fachärztliche Unterstützung suchen.
5. Warum ich dich zu Selbsthilfe und Unterstützung ermutigen möchte
Je nach dem, wo du stehst, kann Selbsthilfe ausreichend sein, damit du Veränderungen in deinem Leben initiieren und mit weniger Stress durch den Lehrer*innen-Beruf gehen kannst.
Wenn dein Stress aber schon länger anhaltend ist, du vielleicht schon verschiedene Sachen selbst ausprobiert hast oder einfach nicht weiterkommst und vielleicht schon verzweifelst, kann es sehr heilsam sein, dir Unterstützung zu suchen.
Ich habe selbst lange Unterstützung in Anspruch genommen und tue es immer noch gerne, wenn ich das Gefühl habe, dass es gerade einfach erleichternd sein könnte. Ich bin immer wieder dankbar für die Erfahrungen, die ich in diesem Rahmen machen darf. Diese Prozesse ermöglichen mir Veränderungen, die ich nie für möglich gehalten hätte.
Inzwischen kann ich mich meistens selbst gut regulieren, weil ich vor allem gelernt habe wahrzunehmen, was sich gerade bei mir abspielt. Selbsthilfe ist also meistens völlig ausreichend.
Um herauszufinden was gerade das richtige für dich ist, beantworte dir einmal ehrlich die Fragen: Wie geht es dir wirklich? Wie belastet fühlst du dich durch deinen Beruf? In deinem Privatleben? Leidest du unter oben aufgeführten Symptomen? Und wenn ja, wie lange halten sie schon an?
Das überhaupt wahrzunehmen und zu akzeptieren ist schon der erste Schritt zu mehr Resilienz und unter Umständen etwas herausfordernd.
Wenn du dir unsicher bei der Beantwortung der Fragen bist oder dir Unterstützung wünschst, schau dir noch mal mein Programm teacherscare an. Ich biete Coaching und Therapie für Lehrer*innen in Einzelsitzungen und in der Gruppe an.