4 Grundlagen für Lehrer*innen gegen Stress

von | Feb 23, 2023

Zugegeben: Der Begriff der Resilienz wurde in den letzten Jahren etwas inflationär verwendet und ich habe Widerstände, ihn aufzugreifen. Aber er fasst zusammen, was ich mir selbst Schritt für Schritt erarbeitet habe, ohne das Wort überhaupt zu kennen.

Resilienz aufzubauen bedeutet, sich kontinuierlich zu trainieren, um den alltäglichen Herausforderungen besser zu begegnen und Stress nachhaltig abzubauen. Dabei gibt es 4 Grundlagen für Lehrerinnen gegen Stress*, die besonders hilfreich sein können. In diesem Beitrag zeige ich dir, wie diese Grundlagen mir geholfen haben, und wie du sie in deinen Alltag integrieren kannst. Dafür stelle ich dir 4 praktische Übungen vor, die kaum Zeit in Anspruch nehmen und sofort umsetzbar sind.

Wenn du dich jetzt fragst, „Was ist eigentlich Resilienz und warum sollte das für mich als Lehrer*in wichtig sein?“ empfehle ich dir erstmal einen anderen Blogbeitrag von mir zu lesen.

1. Wie mir der Aufbau von Resilienz dabei geholfen hat, meinen Weg als Lehrerin zu finden

Soviel sei vorweggenommen: Mein Weg raus und zurück ins Schulsystem fühlt sich recht eigenwillig an.

Ich habe selbst im Schulsystem eigentlich nur die Defizite gesehen. Diese Wahrnehmung hat mich schier gelähmt und dazu geführt, dass ich nach dem Lehramtsstudium lieber als DJane und Rikschafahrerin gearbeitet habe als mich weiter mit Schule auseinanderzusetzen. Bis der Wunsch immer größer wurde, die Welt mitzugestalten. Und der Frust über die Diskrepanz zwischen dem Wunsch und meiner Lebensrealität zu einem starken Willen (1. Grundlage) führte, etwas an meiner Situation zu ändern.

Die Grundlage dafür diese Lähmung zu überwinden, schuf ich zunächst, durch das intensive Training von Wahrnehmung (2. Grundlage) im Rahmen meiner Ausbildung zur Therapeutin.

Was habe ich für Empfindungen? Gedanken? Gefühle? Ja, wer bin ich eigentlich? Was lähmt mich? Und wo im Körper nehme ich das wahr?

Wenn ich anfange wahrzunehmen, ist es relativ normal, dass Dinge erstmal noch größer und schlimmer erscheinen als vorher. An meinen absoluten Tiefpunkten bin ich immer wieder auf Akzeptanz (3. Grundlage) als Schlüssel zu Veränderung gestoßen. So zum Beispiel in einem 10-tägigen Meditationskurs in dem ich 11 Stunden am Tag gesessen und meditiert hatte. Oder es zumindest versucht habe. Nach 8 Tagen hatte ich die Schmerzen meines Lebens und war einfach nur verzweifelt, weil ich davon ausgegangen war, tiefenentspannt aus dem Kurs zu gehen. Da sagte die Lehrer*in zu mir: „Eine gute Meditierende akzeptiert, dass sie eine schlechte ist.“ Ein Schlag ins Gesicht, mit dem ich sehr viel anfangen konnte. Tatsächlich musste ich immer wieder feststellen, dass ein Schlüssel zu Veränderung Akzeptanz des Status Quo ist. So paradox das erstmal erscheinen mag.

Wahrnehmung und Akzeptanz führten dazu, dass ich klarer sah, was in der Schule bei mir Stress auslöst. Aber Schule auch mehr in seiner Vielschichtigkeit und nicht nur durch meine negativ gefärbte Brille wahrnahm. Zudem konnte ich besser akzeptieren, was gerade vielleicht mehr und was weniger in meiner Hand lag.

Und zur letzten Grundlage von Resilienz – der Ausdauer (4. Grundlage) – führte mich auch die Erfahrung und Erkenntnis, dass Wandel und Veränderung einfach selten von heute auf morgen geschehen, sondern meistens einen längeren Weg bedeuten und manchmal sogar eine Lebensaufgabe sind. Ich kann weder mich, noch das Bildungssystem von heute auf morgen grundlegend ändern. Aber ich kann mich auf den Weg machen. Ich kann die Umwege und Hürden auf mich nehmen, die das beinhaltet, mal kleine und mal große Schritte gehen. Und es hat mir dabei unglaublich geholfen immer wieder Ziele und einzelen Schritte zu formulieren.

Als Grundlagen für Resilienz begreife ich also:

  • Willen
  • Wahnehmung
  • Akzeptanz
  • Ausdauer

Sie sind Grundlagen dafür, dass ich Schule als positive Herausforderung sehe und mit teacherscare meinen Weg gefunden habe, die Bildungslandschaft mitzugestalten. Raus aus einem lähmenden, defizitorientierten Blick – hin zu Selbstbestimmung und Handlungsmacht.

Ich zeige dir im Folgenden Übungen, die mir selbst und meinen Klient*innen geholfen haben.

2. Die 4 Grundlagen für Lehrer*innen gegen Stress

2.1 Willen

Um Dinge zu ändern und Resilienz aufzubauen braucht es zuallererst den Willen, die Herausforderungen und Anstrengungen, die damit verbunden sind auf dich zu nehmen. Die Resilienz wird umso größer, je mehr wir uns Sachen erarbeiten mussten, da unser System so lernt, dass wir Herausforderungen mit unserer eigenen Anstrengung und Willen ändern können.

Das heißt es ist unumgänglich, neue Herausforderungen anzunehmen und Wege zu gehen, die vielleicht etwas Mut, Anstrengung oder Überwindung kosten.

Du bist wahrscheinlich auf diesen Artikel gestoßen, weil du etwas an deiner Situation ändern möchtest. Ein gewisser Wille ist also schon gegeben. Das ist das allerwichtigeste!

Aber jetzt denkst du dir vielleicht: Das ist ja alles schön und gut, aber ich habe keine Zeit, mich auch noch darum zu kümmern. Ich bin ja eh schon total gestresst!

Dann ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt um damit zu beginnen! Die Alternative wäre, dass dein Stress größer und zum Dauerzustand wird und dein System wahrscheinlich irgendwann kollabiert und streikt. Heißt, dass du immer weniger leistungsfähig wirst und immer weniger Zeit hast. Die gute Nachricht dabei ist, dass die Zeit die du jetzt investieren kannst verhältnismäßig gering ist. Also beginne am besten gleich mit folgender Übung.

Übung:

  • Mache dir einmal bewusst, warum du überhaupt auf dieser Seite gelandet bist. Was stresst dich? Wie verzweifelt bist du? Was wünschst du dir? Was sind deine Ziele? Schreibe auf mindestens einer Din-A-4-Seite eine schonungslose Bestandsaufnahme.
  • Schreibe dann einen Brief an dich selbst, in dem du dir versicherst, dass du dich darum kümmern und für dich sorgen und einstehen wirst. In deinen Worten und so, wie es sich für dich stimmig anfühlt.

2.2 Wahrnehmung

Nach dem Willen und der Bereitschaft sich auf den Weg zu begeben und Resilienz zu trainieren, ist Grundlage von allem die Wahrnehmung.
Denn wie kannst du etwas ändern, ohne den Status Quo wahrzunehmen?

Die Wahrnehmung deiner Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle sind dein Wegweiser um richtige Schlüsse für dich zu ziehen.

Deine Wahrnehmung zu trainieren, bedeutet nichts anderes, als Muskeln beim Sport zu trainieren. Du kannst es üben.

Wenn du im Stresszustand bist, solltest du der Wahrnehmungsübung immer eine Orientierungsübung voranstellen. Da wir unter Stress in Alarmbereitschaft sind (Kampf- und Fluchtmodus), ist es nicht möglich, sofort in den Entspannungsmodus überzugehen. (Mehr Informationen dazu findestest du in diesem Beitrag.) Wir müssen unserem System erstmal signalisieren, dass wir in Sicherheit sind und kein Grund zu Flucht oder Kampf besteht.

Übung:

  • Schaue dich im Raum mit deinem ganzen Oberkörper um. Drehe dich also mit dem Oberkörper nach hinten und zur Seite und nimm 4 Sachen im Raum kurz ganz bewusst wahr. Was siehst du genau? Du wirst vielleicht feststellen, dass du dabei einmal tief durchatmest. Das ist ein gutes Zeichen, denn es heißt, dass sich dein Nervensystem entspannt.
  • Dann nimm wieder deine normale Sitzhaltung ein, schließe die Augen, atme einmal tief durch und nimm wahr, wie du gerade anwesend bist.  Nimm den Boden unter deinen Füßen wahr. Deine Atmung. Nimm Körperempfindungen so genau wie möglich wahr. Ist da vielleicht ein Kribbeln? Ein Ziehen? Ein Druck?
  • Entscheide dann, ob du etwas ändern und dich z.B. anders hinsetzen möchtest, oder nicht.
  • Wiederhole diese Übung für mindestens 21 Tage mehrmals täglich. Sie kostet dich nur wenige Minuten am Tag. Kann aber Dauerhaft ein wichtiger Schlüssel für Veränderung sein.

Diese Übung kannst du z.B. jedes Mal machen, wenn du wahrnimmst, dass du gestresst bist. Da du das aber unter Umständen gar nicht wahrnimmst, ist es sinnvoll die Übung routinemäßig in den Alltag einzubauen. Im nächsten Kapitel zeige ich dir, was dir dabei helfen kann.

2.3 Ausdauer

Vielleicht kennst du das? Du fährst seit 10 Jahren den gleichen Weg mit dem Fahrrad zur Schule. Eines Tages stößt du auf eine Baustelle und musst eine andere Strecke nehmen.

Vielleicht ertappst du dich am nächsten Tag dabei, wie du wieder vor der Baustelle stehst, einfach weil du die Strecke auf Autopilot fährst.

Unser Gehirn mag einfach keine Veränderungen. Es benötigt Zeit, um neuronale Autobahnen umzulenken oder neue zu bauen.

Deswegen fahren wir gerne jeden Tag den gleichen Weg zur Schule, setzen uns auf den gleichen Stuhl im Lehrer*innen-Zimmer und trinken unseren Kaffee aus der gleichen Tasse. Es kostet einiges an Willenskraft und eben Ausdauer um neue Gewohnheiten zu etablieren.

Laut Studien aus der Verhaltenstherapie benötigt es ca. 21 Tage bis ein neues Verhalten bei täglicher Praxis gefestigt ist (Vgl. William Kaiser: Resilienz erlernen, S. 60),

Dabei kommt es meiner Erfahrung nach sehr darauf an, um welche Art von neuem Verhalten es sich handelt. Aber vielleicht kannst du die 21 Tage als Richtwert und Motivation nehmen.

Übung:

  • Wenn du dich für die Wahrnehmungsübung aus dem vorherigen Kapitel entscheidest, erstelle dir also am besten eine Art „Trainingsplan“ für ein tägliches Training von mindestens 21 Tagen.
  • Trickse dich dabei ein bisschen selbst aus, indem du neue Routinen an bestehende knüpfst. Wenn du z.B. die Routine hast, jeden Nachmittag einen Kaffee zu trinken, kannst du daran vielleicht eine neue Routine anknüpfen. Wie gesagt, unser Gehirn hasst Veränderung. Es ist dir dankbar für alles, was du machst, um es ihm zu erleichtern. Schreibe einmal auf, welche Routinen du hast. Kaffee trinken? Die Fahrt zur Arbeit? Sport? Etc.
  • Du kennst deine Ressourcen selbst am besten: Frage dich einmal, was sich für dich in der Vergangenheit etabliert hat, um dich an etwas zu erinnern und es auch wirklich zu machen. Vielleicht die tägliche To-Do-Liste? Der Kalender? Ein Timer?  Schreibe alles auf, was dir einfällt und kreise dann ein, was dir besonders geholfen hat.

Erstelle jetzt deinen „Trainingsplan“.

2.4 Akzeptanz und Ehrlichkeit

Eine weitere und letzte Grundlage stellt die Akzeptanz und damit Mut zur Aufrichtigkeit gegenüber dir selbst dar. Die meisten von uns haben verschobene Selbstbilder, wären anstelle eines Apfels lieber eine Mango. Anstelle eines ängstlichen, unsicheren Lehrers lieber der lässige, entspannte Typ. Da kann es schon viel Mut kosten, sich einzugestehen, was wir gerade empfinden und das zu akzeptieren.

Akzeptanz heißt Dinge einzuladen da zu sein und willkommen zu heißen, ohne sie direkt ändern zu wollen. Akzeptanz heißt auch ein liebesvolles Gefühl gegenüber dir selbst zu entwickeln. Dich mit allem anzunehmen, was du gerade bist.

Allein die Wahrnehmung und Akzeptanz selbst führt häufig schon zu Veränderung. In der Gestalttherapie wird hier vom Paradox der Veränderung gesprochen. Veränderung geschieht demnach genau dann, wenn du nicht mehr versuchst dich zu verändern, sondern dich annimmst, wie du bist. (Link)

Das lässt sich vielleicht damit erklären, dass die Wahrnehmung und Akzeptanz von Gefühlen dazu führt, dass gar nicht erst so viel Stress aufkommt.

Als Bild dazu der berühmte Kochtopf, der überläuft, wenn ganz viel Druck drauf ist. Hebt man den Deckel hingegen ab und zu an und schaut sich an, was drunter passiert, wird der Druck erst gar nicht so groß.

Nicht zuletzt heißt Akzeptanz auch, äußere Dinge anzunehmen, auf die ich keinen Einfluss habe, wie Schicksalsschläge, das Wetter oder Dinge, die in der Vergangenheit liegen und ich nicht mehr ändern kann.

Übung:

Um die Wahrnehmung und Akzeptanz zu trainieren hat mir eine Übung aus dem Buch „Der Weg des Künstlers“ sehr geholfen:

    • Schreibe jeden Tag (am besten direkt nach dem Aufstehen) handschriftlich 3 Din-A-4-Seiten, die streng dem Bewusstseinsstrom folgen.

  • Schreibe ungefiltert und ohne Pause alles, was dir in den Sinn kommt. Es kann sich total sinnentleert und bedeutungslos anhören, wie: „Ich habe nichts zu sagen. Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Ich muss die Wäsche waschen…bla bla bla“. Nichts ist zu unbedeutend, peinlich oder dumm.

  • Oft wirst du vielleicht feststellen, dass du dich selbst bemitleidest oder wiederholst. Schreibe es trotzdem immer wieder auf.

  • Oder du wirst vielleicht auf so etwas wie eine innere Stimme stoßen, die kritisiert oder zensiert. Dann schreibe auch auf, was diese Stimme sagt, wie: „Das ist zu peinlich. Das kannst du nicht schreiben. Wenn das jemand liest.“

  • Gerade wenn du merkst, dass du auf Widerstände stößt, kann dieser Prozess sehr hilfreich für dich sein und Gedanken, Gefühle und Träume zu Tage bringen, die du dir sonst nicht erlaubst.

Anmerkung:

Ich habe diese Übung über ein Jahr jeden Morgen gemacht. Zu dem Zeitpunkt hat mein Unterricht allerdings erst um 10 Uhr begonnen. Mir ist klar, dass die Realität von den meisten Lehrer*innen so aussieht, dass zwischen 5 und 7 der Wecker klingelt und der Gedanke morgens 3 Seiten zu schreiben einfach nur absurd ist. Deswegen schreibe lieber eine halbe Seite, statt gar keine und wann immer es dir am Tag am besten passt. Wenn du es nicht jeden Tag schaffst, sei gnädig und verständnisvoll mit dir selbst und mache weiter.

Füge nun auch dieses Experiment mit Hilfe deiner bestehenden Routinen und Hilfsmittel in deinen 21-tägigen Trainingsplan ein.

Soviel zu den Grundlagen für dein Resilienztraining als Lehrer*in. Wenn du mehr zu den aufbauenden Praktiken erfahren möchtest, lies meine Blogartikel dazu: