Von der planlosen Schülerin zur lösungsorientierten Coachin und Gestalttherapeutin: Was mein Weg durch’s Bildungssystem über das System aussagt

Auf dem Bild ist eine Knetfigur zu sehen, die den Weg zeigt. Es steht für Lösungsorientiertes Coaching, Motivation un den eigenen Weg.
Mit Coaching und Gestalttherapie für Lehrer*innen durchs Bildungssystem
Auf dem Bild ist eine Knetfigur zu sehen, die den Weg zeigt. Es steht für Lösungsorientiertes Coaching, Motivation un den eigenen Weg.

Ich erzähle hier ausnahmsweise ausführlich über mich – weil mein Weg durch das Bildungssystem eine Geschichte ist, die nicht nur von mir handelt. Sondern auch vom System. Und davon, warum ich heute Lehrer*innen und Schüler*innen dabei begleite, ihre eigenen Wege zu gehen. 

Ich war eine Schülerin mit guter Laune und ohne Kompass. Außen lachend, innen planlos. Und gleichzeitig jemand, die sehr früh darauf fokussiert war, was nicht funktioniert. Was blöd ist. Was nervt. Aber: Ich wusste überhaupt nicht, was ich eigentlich wollte. Und hatte keinen Plan, wie ich konstruktiv mit Dingen umgehen konnte, die ich einfach “scheiße” fand. Also war ich vor allem: ausgebremst. Ohne Verbindung zu meinen eigenen Wünschen. Ohne Mut, dazu zu stehen. Und ohne Idee, wie ich ihnen in kleinen Schritten näherkommen könnte.


Zwischen Mutlosigkeit und Sehnsucht im Bildungssystem

Ich habe Sport und Musik geliebt. Seeeehr geliebt. Ich habe mich die ganze Woche – und ich meine WIRKLICH die ganze Woche – auf den Sportunterricht gefreut. Gezählt, wie viele Tage es noch sind. Ich habe so gerne gesungen, dass mein Lehrer meinte: „Nimm doch Gesangsunterricht!“ – obwohl mein Herz hüpfte, als er das sagte, tat ich nichts. Weil ich dachte, die anderen denken dann, ich halte mich für eine Sängerin.

Ich habe keinen Sport-Leistungskurs gewählt, obwohl ich ihn wahrscheinlich geliebt hätte – aus Angst vor der Theorie. Stattdessen: Mathe und Deutsch. Das war sehr langweilig und ganz sicher nicht das, wofür ich gebrannt habe.

Nach dem Abi ging es so weiter: Ich hatte keine Ahnung, wohin mit mir. Irgendwas mit Stimme und Bewegung – das wäre es wahrscheinlich gewesen. Aber ich habe nicht einmal recherchiert, was es da geben könnte. Die einzige Möglichkeit, die ich sah: Sport und Musik auf Lehramt zu studieren. Ich dachte allerdings, für die Musikaufnahmeprüfung sei ich nicht gut genug. Und für Sport – Theorie und Turnen – auch nicht.


Im Kunststudium erstmal abgesoffen

Weil andere (!) sagten: „Du kannst doch gut malen“, habe ich eine Mappe für die Kunstuni gemacht, wurde an der UdK Berlin genommen und studierte Kunst und Italienisch auf Lehramt. An einer Uni, an der du sehr genau wissen musst, warum du da bist – weil es dir sonst niemand sagt. Ich wusste es nicht – und bin erstmal komplett abgesoffen und einfach nicht hingegangen. Deswegen durfte ich das erste Jahr wiederholen. So etwas gab es noch nie. Yaei!

Irgendwie habe ich mich dann doch weiter durchgewurschtelt und immer wieder Sachen gefunden, für die ich gebrannt habe. So vollends mit dem Herzen dabei war ich allerdings nie.

Zu der Fächerwahl kam, dass ich das Schulsystem immer stark kritisiert habe. Und das Referendariat zu machen stand für mich eigentlich nie zur Debatte. Da mich alles, was ich darüber gehört habe, regelrecht entrüstet hat. 

Trotzdem habe ich wirklich angefangen, mich für Bildung zu interessieren und die Arbeit mit Schüler*innen hat mir viel Freude bereitet. 


Rikscha fahren statt Referendariat

Nach dem Studium habe ich endlich das gemacht, was mir lange gefehlt hatte: Ich bin in Bewegung gekommen – außen auf einer Berliner Rikscha, innen durch meine Ausbildung zur Gestalttherapeutin. Diese Ausbildung war für mich ein einziges großes AHA-Erlebnis. (Danke TIB!) Es war der Beginn meines professionellen Fundaments in Prozessarbeit, Selbstreflexion und der Begleitung von Entwicklungsprozessen.

Auf dem Bild ist meine künstlerische Auseinandersetzung mit der Arbeit als Rikschafahrerin zu sehen. Mein Weg aus dem Bildungssystem und zurück.
Meine Arbeit als Rikschafahrerin habe ich dann sogar noch künstlerisch im Zweitstudium verarbeitet.

Und trotzdem bin ich auch diesen Weg nicht blind weitergegangen. Nach zwei Jahren habe ich gespürt: Für den Moment reicht’s. Ich brauche Raum, um meinen eigenen Weg zu gehen. Und den bin ich dann gegangen – suchend, tastend, zwei Schritte vor, einen zurück, aber immer ehrlicher und aufrechter.


Schule? Ja. Aber auf meine Weise.

Vor dem Hintergrund meiner Persönlichkeitsentwicklung hat es mich in die Schule gezogen. Ich habe Menschen im Zweiten Bildungsweg begleitet – viele von ihnen waren schon einmal komplett aus dem System gefallen. Im offenen Vollzug und mit Drogenhintergrund. Wahrscheinlich habe ich mich zwischen ihnen deswegen ziemlich wohl gefühlt, weil ich mich selbst nie wirklich im Schulsystem gesehen fühlte.

Ich habe mich dann an einer Förderschule beworben. In der Nacht vor meinem ersten Arbeitstag habe ich geträumt, ich sei im Gefängnis. Es regnete Fäkalien. Hohe Mauern umgaben mich. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes in der „Scheiße“ gefangen. Eindrücklicher hätte ein Traum mein damaliges Verhältnis zum Schulsystem nicht darstellen können.

Nach einem Jahr, in dem ich Englisch unterrichtet habe – mein schlechtestes Fach in der Schule – habe ich gesagt: Entweder ich mache hier das, was ich wirklich gut kann und wofür ich stehe – oder ich mache etwas anderes.

Und dann habe ich begonnen, mir meine Arbeit so zu gestalten, wie ich sie vor dem Hintergrund meiner eigenen Interessen und Ressourcen und denen der Schule aus künstlerischer, pädagogischer, therapeutischer und systemischer Sicht als wirksam erlebt habe. Schritt für Schritt. Habe sehr eng mit einer Kollegin zusammengearbeitet. Und gemerkt: Es ist viel mehr möglich, als ich dachte. Ein weiterer großer AHA-Moment.


Gesehen werden: Das, was mir gefehlt hat

Was ich Schüler*innen wahrscheinlich am meisten geben konnte, war das, was mir selbst so oft gefehlt hat: Gesehen zu werden. In meinen Ressourcen erkannt zu werden. Ermutigt zu werden, eigene Wege zu gehen. Ich habe meine therapeutische Haltung mit in die Schule genommen: Wertschätzung. Augenhöhe. Nahbarkeit. Sie ist heute ein zentraler Bestandteil meiner professionellen Identität als Coachin und Gestalttherapeutin im Bildungsbereich.

Grundlage für alles ist dabei Empathie, die mit einer ehrlichen Auseinandersetzung mit mir selbst beginnt: Was ist mein Anteil? Was gehört zur anderen Person? Wo bin ich getriggert – und wo kann ich unterstützen?


Das System kritisieren – und dann?

Lange habe ich vor allem über das Schulsystem „abgekotzt“. Und ich finde: Das hat definitiv seine Berechtigung. Es ist ein Hinweis. Eine Energie, die zeigt: Hier stimmt etwas nicht und das ist mir wichtig.

Aber jetzt versuche ich, da nicht stehen zu bleiben. Sondern zu sehen, was genau mir daran wichtig ist – und wie ich zu einer Veränderung beitragen kann. Ich habe vor allem gelernt, das Große zu sehen und trotzdem in kleinen Schritten zu denken. Und der Energie nachzugehen.

Ich stelle mir heute andere Fragen:

  • Ich kritisiere das Schulsystem? Okay – wie kann ich zur Veränderung beitragen? #Schulemussanders
  • Ich sehe, dass nicht nur alles schlecht ist? Wie kann ich die Ressourcen nutzen und vergrößern?
  • Ich habe Angst? Wer oder was kann mich unterstützen?
  • Ich sehe ein Problem? Was wäre ein erster Schritt?

So wird aus Ohnmacht Orientierung. Aus Wut ein Anfang. Und zwischen Visionen und Wut entsteht ein Kompass.


Persönlichkeitsentwicklung ist keine Luxusfrage

Für mich war Persönlichkeitsentwicklung kein „nice to have“. Sondern wirklich fundamental wichtig. Auch im Kontext Schule.

Im Coaching und in der Therapie habe ich nicht nur gelernt, meine Wünsche wahrzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Ich habe Werkzeuge gefunden. Sprache. Haltung. Und einen Zugang zu etwas, das ich vorher nicht kannte: Vertrauen in Entwicklung.
In meinen eigenen Prozess – und in den anderer.

So bin ich losgegangen. Schritt für Schritt.
Alleine – und gemeinsam mit anderen.


Warum ich das alles erzähle?

Weil ich gut kenne, was viele empfinden.

Ich kenne die planlose Schülerin und Studentin, die nicht in ihren Ressourcen gesehen und unterstützt wird. Die nicht gelernt hat, sich eigene Ziele zu setzen. Die nicht weiß, dass kleine Schritte zum Ziel führen können. Dass Rückschläge normal sind. Die Unterstützung und Zuspruch gebraucht hätte, um sich zu trauen, ihre vagen Wünsche und Bedürfnisse anzunehmen – und daraus Visionen und konkrete Schritte zu entwickeln.

Ich kenne auch die Perspektive der unzufriedenen Lehrerin, die nur sieht, was nicht läuft. Die sich dadurch gelähmt fühlt. Die irgendwie in der Schule arbeitet, ohne das zu machen, was sie wirklich gut kann und wofür sie steht. Die vor allem die Kolleg*innen sieht, die sie unmöglich findet – und nicht die vielen tollen Menschen, mit denen sie mehr zusammenarbeiten könnte. Die sich ohnmächtig gegenüber dem System Schule und der Politik fühlt.

Heute arbeite ich als lösungorientierter Coach und Gestalttherapeutin im Bildungsbereich – mit Lehrer*innen, Schüler*innen und Bildungsteams. Ich begleite sie – nicht aus der Theorie, sondern aus einem Weg heraus, den ich selbst gegangen bin.
Mit Umwegen, Brüchen, eigenen Fragen.
Und mit einem wachsenden Gespür dafür, was Menschen im System Schule wirklich brauchen, um sich entwickeln zu können.

Persönlichkeitsentwicklung lohnt sich. Eigene Wege lohnen sich. Nicht immer geradeaus. Aber sie führen irgendwohin. Und wir können sie gemeinsam gehen. Als Schüler*in und als Lehrer*in.


Fazit: Bildung braucht Mut zur Reflexion

Mir wäre viel erspart geblieben, wenn ich im Bildungssystem als Mensch gesehen worden wäre – mit meinen Ängsten, Sehnsüchten, Talenten und Hindernissen. Wenn jemand gesagt hätte:
„Hey, du liebst doch Sport. Wie könntest du dem mehr Raum in deinem Leben geben?“ 

Oder: “Ok, es kostet dich Mut, Gesangsunterricht zu nehmen. Wer oder was könnte dich denn dabei unterstützen?”

Da ich dabei noch ein sehr privilegierter Mensch bin, der auch immer viel Unterstützung von zu zu Hause erfahren und immer wieder die richtigen Leute getroffen hat, habe ich trotzdem meinen Weg gefunden. Viele Schüler*innen haben aber nicht eine zweite, dritte, vierte Chance im Leben, sondern Schule ist die einzige Chance, gesehen zu werden, gefördert zu werden, ihren Weg zu finden. Wer hier durchrutscht, fällt oft lange – manchmal für immer. Und genau deshalb ist es so zentral, wie Schule gestaltet ist. Und wie Menschen darin wirken. Lehrer*innen, die zuhören. Räume, die Möglichkeiten eröffnen. Beziehungen, die tragen.

Ich glaube: Bildung braucht Menschen mit Mut zur Reflexion, mit Zugang zu sich selbst – und mit Lust auf Verbindung und Entwicklung. Wir brauchen Lehrer*innen, die ihre Wut nicht wegdrücken, sondern in Klarheit verwandeln. Die nicht perfekt sind, sondern verbunden. Die bereit sind, neue Wege zu gehen – auch wenn sie unbequem sind.

Dafür stehe ich heute. Und dafür arbeite ich.

Denn: Wir brauchen eine Bildungswende.
Eine, die nicht bei Lippenbekenntnissen stehen bleibt. Eine, die strukturell gedacht und menschlich getragen wird. YES – die Politik trägt Verantwortung. Für Rahmenbedingungen, Ressourcen und mutige Reformen.

Aber auch wir – als Gesellschaft, als Lehrer*innen, Eltern, als Einzelne – stehen in der Verantwortung.

Bildung kann mehr sein als Anpassung. Sie kann ein Raum werden, in dem Menschen wachsen – miteinander und im eigenen Rhythmus.

  • Über die Autorin

    WER BIN ICH?

    Wieble Heiber schaut lächelnd und wohlwollend an der Kamera vorbei zu einer*m Klient*in, dessen Kopf und Haare von hinten verschwommen zu sehen sind. Schwarz Weiß. 2 Logo Kissen in blau und grün sind auf dem ausgeschnitten Foto zu sehen.

    Wiebke Heiber
    Gründerin Teacherscare

    Ich bin Wiebke Heiber, habe immer wieder als Lehrerin gearbeitet und wollte Schule schon immer verändern. Lange hatte ich das Gefühl, es müsse sich einfach alles ändern. Das fühlte sich so überfordernd an, dass ich lieber gar nichts gemacht habe.


    Und ja, Bildung muss endlich höchste Priotität und damit Ressourcen und Wertschätzung auf politischer Ebene erhalten. Und gleichzeitig empfinde ich es als frustrierend nur auf dieser Ebene anzusetzen und auf Änderungen zu warten, während der Schulbetrieb weiter läuft.

    Deswegen möchte ich Lehrer*innen dahingehend stärken, dass sie für sich und ihre Werte einstehen. Und vorhandene Gestaltungsräume wahrnehmen, nutzen und vergrößern.

    Wiebke Heiber führt ein freundliches Online-Coaching am Computer durch. Online-Coaching für Lehrer*innen aus Bremen, Oldenburg, Berlin, München, Hamburg und Köln.

Intresse an Persönlichkeitsentwicklung?

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