
Einleitung
In letzter Zeit habe ich immer wieder mit einer befreundeten Lehrerin diskutiert: Darf ein*e Lehrer*in wie ein Coach agieren? Oder widerspricht das der Machtrolle, die Lehrer*innen durch Notengebung, Sanktionen und Hierarchien innehaben?
Eine berechtigte und lohnende Frage. Denn Coaching und Schule stehen sich nicht automatisch im Weg. Es kommt darauf an, wie wir unsere Rolle als Lehrer*in verstehen – und wie wir sie füllen.
Inhalt
Rollen im Widerspruch? Lehrer*in vs. Coach
Coaching basiert auf Freiwilligkeit, Vertrauen und Augenhöhe. Schule hingegen auf Bewertung, Pflichten und Autorität. Das klingt erst mal nach einem unauflösbaren Gegensatz.
Aber ist das wirklich so? Oder entsteht der Konflikt nur, wenn wir Rollen sehr starr denken – statt sie als Haltung, Beziehung und Möglichkeit zu begreifen?
Mein eigener Blick: Lehrerin mit Coaching-Haltung
Als ich selbst unterrichtet habe, war ich klar Lehrerin – mit all den Aufgaben, die dazugehören: Unterricht planen, Leistungen bewerten, sich unbeliebt machen 😉
Aber meine Haltung war stark geprägt durch meine Ausbildungen als Coach und Therapeutin. Ich habe versucht, wertschätzend, transparent und ressourcenorientiert mit Schüler*innen umzugehen. Besonders wichtig waren mir dabei drei Dinge:
Transparenz
Ich habe versucht, meine Notengebung so transparent wie möglich zu gestalten. Das war sicher der schwierigste Teil – weil ich selbst Noten und diese Art von Bewertung so absurd finde. Es fiel mir schwer, dafür überhaupt einen stimmigen Umgang zu finden.
Was mir dagegen leichtfiel: offen zu sagen, wie ich selbst zu Noten stehe – und warum ich Schüler*innen trotzdem benote.
Helmut Hochschild, ehemaliger Schulleiter der Rütlischule in Berlin, beschreibt in seinem Podcast einen sehr guten Umgang damit:
Zum Podcast: Schule kann mehr
Wertschätzung und Augenhöhe
Schüler*innen mit allem, was sie sind und mitbringen, ernst zu nehmen, war mir zentral. Einmal fragte mich ein Schüler: „Warum sollen wir den Scheiß hier machen?“ (der „Scheiß“ = Experimentelles Zeichnen). Zu seiner Überraschung habe ich die Frage total ernst genommen und dankbar aufgegriffen, um zu erklären, was ich persönlich daran spannend finde – und warum ich diese Aufgabe gewählt habe.
Ressourcenblick statt Defizitbrille
Ressourcen lassen sich überall finden. Auch bei einer Fünf. Gerade da lohnt sich die Frage:
Was war gut?
Wie hast du es geschafft, dass es keine Sechs wurde?
Was hast du dafür getan?
Was sind deine Ziele und Wünsche?
Was könnte ein nächster kleiner Schritt sein?

Was du als Lehrer*in vom Coaching übernehmen kannst
Du musst kein Coach sein, um dich vom Coaching inspirieren zu lassen. Es geht nicht darum, therapeutisch zu arbeiten oder Hierarchien abzuschaffen. Sondern um eine innere Haltung: Schüler*innen nicht als Defizitwesen zu sehen, sondern als Menschen mit Potenzialen, Ressourcen und Geschichten.
Hier drei Dinge, die du dir als Lehrer*in aus dem Coaching holen kannst:
1. Wertschätzende Grundhaltung
Auch wenn du Noten gibst, kannst du auf Augenhöhe bleiben. Respektvolle Beziehungen widersprechen Autorität nicht – sie machen sie wirksam.
2. Ressourcenorientierung statt Fehlersuche
Die Schule sieht oft, was fehlt. Coaching fragt:
Was ist schon da?
Was funktioniert trotz allem?
Was kann darauf aufbauen?
3. Transparenz und Reflexion
Coaching lebt von Klarheit. Schüler*innen profitieren enorm davon, wenn sie verstehen:
Wie kommt meine Note zustande?
Welche Spielräume habe ich?
Wer sitzt mir da eigentlich gegenüber – und wer bin ich selbst in der Rolle?
Zwischen Selbstreflexion und Systemgrenzen
Vielleicht der wichtigste Aspekt: Persönlichkeitsentwicklung.
Wer eine coachende Haltung einnehmen will, muss bereit sein, sich selbst zu reflektieren. Eigene Fehler, Stimmungen, Grenzen und Bedürfnisse wahrzunehmen. Und zu lernen, immer besser zu unterscheiden:
Was bin ich?
Was ist mein Gegenüber?
Was spielt sich dazwischen ab?
Warum das nicht „weichgespült“ ist – sondern wirksam
Manche belächeln diese Haltung als „zu weich“, als verhätschelnd oder naiv.
Ich sehe das anders.
Ein wertschätzender, klarer und zugewandter Umgang schafft echte Lernräume – und Motivation. Lehrer*innen, die sich vom Coaching inspirieren lassen, sind nicht zu nett. Sie sehen ihre Schüler*innen. Und gesehen zu werden ist etwas, das wir alle brauchen. Es ist die Grundlage von Beziehung – und damit auch von Bildung.
Fazit: Zwischen Coach und Lehrer*in – ein produktives Dazwischen
Du musst dich nicht entscheiden, ob du Lehrer*in oder Coach bist. Viel spannender ist die Frage:
Wie will ich meine Rolle füllen?
Welche Haltungen tun mir und meinen Schüler*innen gut?*
Was möchte ich anders machen – und warum?
Wo kann ich wachsen, mich entwickeln, Neues ausprobieren?
Für mich ist klar: Eine coachende Haltung bereichert den Lehrer*innenberuf – ohne ihn zu verwässern. Sie macht ihn menschlicher, reflektierter, lebendiger.
Du hast Interesse an Persönlichkeitsentwicklung als Lehrer*in? Ich gebe Einzelsitzungen online und in meiner Praxis in Berlin Neukölln.
- Über die Autorin
WER BIN ICH?
Wiebke Heiber
Gründerin TeacherscareIch bin Wiebke Heiber, habe immer wieder als Lehrerin gearbeitet und wollte Schule schon immer verändern. Lange hatte ich das Gefühl, es müsse sich einfach alles ändern. Das fühlte sich so überfordernd an, dass ich lieber gar nichts gemacht habe.
Und ja, Bildung muss endlich höchste Priotität und damit Ressourcen und Wertschätzung auf politischer Ebene erhalten. Und gleichzeitig empfinde ich es als frustrierend nur auf dieser Ebene anzusetzen und auf Änderungen zu warten, während der Schulbetrieb weiter läuft.
Deswegen möchte ich Lehrer*innen dahingehend stärken, dass sie für sich und ihre Werte einstehen. Und vorhandene Gestaltungsräume wahrnehmen, nutzen und vergrößern.